Alle Jahre wieder wird zum Ende des Jahres die imaginäre Kristallkugel ausgepackt: Wo stehen die großen Aktienindizes in zwölf Monaten? Was macht der Goldpreis und wie wird sich der Euro im Vergleich zum US-Dollar entwickeln? Wer heute investiert, stellt sich diese Frage… Aber warum eigentlich?
An der Börse ist es gewöhnlich der Dezember, in dessen Verlauf geklärt werden soll, wie die kommenden Monate, das kommende Kalenderjahr, wohl laufen werden. Heerscharen von Analystinnen und Analysten versuchen sich in Punktprognosen oder skizzieren zumindest einen Bereich, in dem sie die Kapitalmärkte in naher Zukunft erwarten.
Die Medien lieben dieses Spiel und Anleger sollen daraus eine Anlagestrategie ableiten. Es wird an den Börsen über Dinge fabuliert, die wir nicht wissen können. Wäre es nicht vielmehr sinnvoll, den Fokus auf das zu richten, was bekannt ist?
Große Tabellen prangen auf den Zeitungseiten: Wer prognostiziert was, und aus welchen Gründen? Die alljährlichen Vorschauen sind – das sollten wir nicht unterschätzen – wie eine Prise Gewissheit in einer chronisch ungewissen Börsenwelt. Sie geben Halt und Orientierung; zumindest ist das die Wahrnehmung des Publikums, denn das Vertrauen in die Analysefähigkeiten ist groß. Wie könnten all die Experten, die ja den ganzen lieben langen Tag nichts anderes tun, als sich mit Kapitalmarktthemen zu beschäftigen, sich irren?
Sie tun es, so viel steht fest. Niemand weiß, was in den kommenden Monaten sein wird. Woher auch? Ein Vulkan kann beispielsweise ausbrechen – und den Warenverkehr in der Luft für Wochen beeinträchtigen. Ein Tsunami könnte größere Küstenabschnitte unter sich begraben und die Produktion dringend benötigter Technologiekomponenten empfindlich beeinträchtigen. Womöglich steht ein großer Finanzkonzern kurz vor dem Kollaps – nur hat das niemand kommen sehen können, weil der wahre Zustand vom Topmanagement mit schier unglaublicher, krimineller Energie verschleiert wurde.
Katastrophen kündigen sich selten an. Es könnte auch einfach nichts passieren. Doch wenn alle nur das Schlechteste erwarten, ist eben das „Nichts“ das Beste, was passieren kann – und die Kurse steigen, obwohl zuvor alle vom Gegenteil ausgegangen sind.
Das Jahr 2016 ist ein prima Beispiel: Wenn Sie gewusst hätten, dass das Vereinigte Königreich nicht länger in der EU sein will und ein Typ wie Donald Trump US-Präsident werden würde, hätten Sie womöglich sämtliche Aktien verkauft – oder alles abgesichert! Sie kennen das Ende der Geschichte: Die Aktienindizes sind in den nachfolgenden Monaten auf neue Höchststände gelaufen
Letztlich hat der Vorhersager zwei Möglichkeiten der Herleitung, hier exemplarisch an der allseits beliebten Börsenindexprognose dokumentiert: „Wo steht der MSCI World Index Ende 2024?“
Möglichkeit 1: Die defensive Strategie
Der Analyst nimmt die historische Wertentwicklung, also die durchschnittliche jährliche Rendite der vergangenen Jahrzehnte, und schlägt sie einfach auf den aktuellen Punktestand auf – oder zieht sie ab, je nachdem, wie er die derzeitige Börsenstimmung wahrnimmt. Er wird damit nicht weiter auffallen, weil es ihm viele gleichtun. Dabei sein ist alles – Kompetenz signalisieren. Mehr ist es nicht
Möglichkeit 2: Die offensive Strategie
Dem Prognosegeber geht es dabei um maximale Aufmerksamkeit. Die bekommt er, indem er möglichst weit vom Mittelwert abweicht und beispielsweise einen Crash oder die nächste Rally voraussagt.
Übrigens: In der Praxis ist der Untergangsprophet beliebter als der Optimist!
Letztendlich können Sie aus allen Prognosen nichts ableiten. Nehmen Sie es hin, erfreuen Sie sich daran, wenn Sie können, aber richten Sie bitte niemals Ihre Anlagestrategie danach aus! Wir haben noch gut 3 Wochen bis Weihnachten. Sollte in dieser Zeit nichts Gravierendes in der Welt passieren, werden wir auf ein erfolgreiches Anlagejahr 2023 zurückblicken – auch wenn es anders gelaufen ist, als viele Analysten vor 11 Monaten geschätzt haben.
Wir wünschen Ihnen einen schönen ersten Advent!
Herzlichst, Ihr Stansch-Team