Politische Instabilität, kaum Wachstum und eine Bürokratie, die immer mehr Hürden schafft…
Deutschland droht den Anschluss zu verlieren – nicht nur in der Welt, sondern auch in Europa. Das ehemalige europäische Zugpferd ist zum „kranken Mann Europas“ geworden. Eine Bestandsaufnahme.
Der jüngste „Economic Outlook“ der OECD spricht eine eindeutige Sprache: Unter den großen Wirtschaftsregionen der Welt ist der Euroraum mit einem prognostizierten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts {kurz: BIP} von nur 0,6 Prozent das Schlusslicht. Und unter den großen Mitgliedsländern des Euroraums steht Deutschland am schlechtesten da; mit einem Minus von 0,2 Prozent liegt es weit abgeschlagen hinter Frankreich, Italien und Spanien.
Das neuerdings wieder in Mode gekommene Wort von Deutschland als dem „kranken Mann Europas“ ist nicht aus der Luft gegriffen. Zwar ist es eher ein Schwächeln, weil wir uns zu lange auf vergangenen Erfolgen ausgeruht haben – doch die deutsche Wirtschaft hat ihren Muskelabbau mangels Trainings zu lange ignoriert. Nur wenn wir uns einem „Fitnessprogramm“ unterziehen, werden wir wieder den Anschluss in Europa und vielleicht auch in der Welt erreichen.
Problem Nr. 1
Europa hat den Tech-Zug verschlafen – die großen Firmen in den USA sind die Gewinner. Das liegt nicht an mangelndem Erfindergeist. Viele Innovationen, auch im Bereich z.B. der Künstlichen Intelligenz, stammen zwar aus Deutschland, aber in Geschäftsideen umgesetzt werden sie anderswo. Übrigens: Wir waren ja auch mal führend in der Photovoltaik-Technologie. Heute müssen wir die Anlagen aus dem Ausland importieren, da wir das Know-How verkauft haben.
Deutschlands industrielle Basis erodiert schleichend. Die modernen Industrien entstehen in den USA und in China, auch in Saudi-Arabien. Der Fehler liegt im System: Die Bürokratie ist überbordend. Es wird nicht mehr investiert, weil die Planungsverfahren zu lange dauern. Die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung kommt nicht voran – heute können wir von Ländern wie Estland und Lettland lernen, wie es gehen kann. Und die Märkte, die Kapital für die Umsetzung von Geschäftsideen liefern könnten, sind nach wie vor unterentwickelt.
Problem Nr. 2
Deutschland – und mit ihm Europa – war ein Profiteur der Globalisierung. Als zeitweiliger Exportweltmeister profitierte die deutsche Wirtschaft insbesondere vom Wachstum in China und von billigen Energieimporten aus Russland. Beides ist weggebrochen. Die chinesische Wirtschaft schwächelt oder findet eigene Wege und Russland wird auf absehbare Zeit kein verlässlicher Wirtschaftspartner mehr sein.
Die Energiewende mag langfristig neue Chancen eröffnen, doch auf kurze Sicht treibt sie zunächst einmal die Kosten in die Höhe – und belastet damit die Wirtschaft weiter.
Deutschland hat ein industrielles Geschäftsmodell. An diesem müsste man eigentlich festhalten. Das passiert aber nicht. Deutschland als Industrieland par excellence braucht eine verlässliche und kostengünstige Energieversorgung. Und diese setzen wir gerade aufs Spiel. Wir sind ein Land geworden, in dem die jetzige Generation die Chancen der zukünftigen zerstört.
Problem Nr. 3
Die Demografie läuft dramatisch gegen uns. Spürbar ist das bereits jetzt, in einem jeden Tag stärker werdenden Mangel an Fachkräften. Doch was wir heute erleben, ist nur ein Vorgeschmack darauf, was uns in den kommenden Jahren bevorsteht: Dann gehen die Baby-Boomer-Jahrgänge in Rente und entziehen damit nicht nur der Wirtschaft ihre Arbeitskraft – sie belasten auch den Staatshaushalt.
Deutschland gehört immer noch zu den Ländern, die sich ein umlagefinanziertes System der Altersrente leisten. Mit der demografischen Entwicklung kann dieses System nicht mithalten. Immer mehr Menschen führt dieses System in die Altersarmut. Wie stabil es auf lange Sicht ist, steht in den Sternen.
Immerhin: Hier tun sich gerade neue Horizonte auf. Die Pläne für eine Aktienrente gehören zweifellos zu den guten Nachrichten im politischen Tagesgeschehen der jüngsten Zeit. Sie passen zur jüngsten Renaissance der Aktienkultur in Deutschland. Im vergangenen Jahr waren hierzulande fast 13 Millionen Menschen in Aktien, Aktienfonds oder ETFs investiert, fast ein Fünftel der Bevölkerung ab 14 Jahren. Das sind mehr als beim bisherigen Höchststand des Jahres 2001.
Es ist zu hoffen, dass von der Aktienrente eine Initialzündung ausgeht, die die Wirtschaft endlich wieder in Gang bringt. Vielleicht kann das Wasser der Märkte auf Dauer den harten Stein der Bürokratie brechen. Noch sind Initiativen wie die Aktienrente aber nicht mehr als ein Anfang. Europa ist da – z.B. von den USA – weit entfernt.
Wer es mit Wachstum und Innovation ernst meint, geht in die USA, um sich dort Kapital an der Börse oder von privaten Kapitalgebern zu besorgen. Uns muss klar sein: Die technologische Transformation, die wir in Deutschland und Europa bewältigen müssen, schaffen wir nicht mit einer neuen Industriepolitik. Bürokratien sind notorisch schlecht darin, gute Investitionsentscheidungen zu treffen. Was wir brauchen, sind aufnahmefähige Kapitalmärkte. Sie fördern Investitionen nicht nur, indem sie Finanzen mobilisieren, sondern auch, indem sie die besten Ideen in einem dezentralen Entdeckungsprozess identifizieren und fördern. Sie sind die Fitnesstrainer der Wirtschaft.
Deshalb gilt: Wir können die notwendige technologische Transformation nur dann leisten, wenn wir den Kapitalmarkt stärken. Und das heißt auch, dass wir Industrie und Kapitalmarkt nicht gegeneinander ausspielen dürfen. Wir müssen ihnen vielmehr die gleiche Bedeutung einräumen. Außer dem Staat kommt nur der Kapitalmarkt infrage, um die Summen zu mobilisieren und die Risiken zu streuen, die bei der Transformation der Industrie anfallen.
Die Regierung ist gefordert, die notwendigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Nur so lässt sich der langfristige Wohlstand der Gesellschaft sichern. Man darf gespannt sein, ob dies in Berlin gelingt…
Herzlichst, Ihr Stansch-Team