Jetzt also doch! Nach langem Zögern hat die Europäische Zentralbank {kurz: EZB} gestern die erste Zinserhöhung vorgenommen. Angesichts einer Inflationsrate von zuletzt 8,1 Prozent wirkt die Anpassung von 0% auf 0,25% aber alles andere als mutig.
Die US-Notenbank Federal Reserve {kurz: Fed} hat der US-Inflation von zuletzt mehr als acht Prozent schon länger den Kampf angesagt und die Leitzinsen im Mai um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Damit beschlossen die US-Notenbanker die kräftigste Zinserhöhung seit dem Jahr 2000 und kündigten zudem an, dass weitere Zinsschritte folgen werden.
Die Zinswende ist also eingeläutet! Ist diese aber gleichbedeutend mit einer „Neuausrichtung“ der seit Jahren expansiven Geldpolitik?
Nicht nur das Zinsniveau wird dieser Tage heiß in den Notenbanksitzungen diskutiert. Auch ein mögliches Abschmelzen der gigantischen Wertpapierbestände steht zur Debatte. Jahrelang haben sich die Notenbanken mit Staatsanleihen vollgesogen und die Rentenmärkte damit gesteuert. Nur so war es hochverschuldeten Mitgliedsstaaten möglich, über Staatsanleihen nahezu zinslos frisches Geld aufzunehmen.
Während EZB-Präsidentin Lagarde plant, die Wertpapierbestände der EZB noch für mindestens einige Monate auf einem konstanten Niveau zu halten, hat der Fed-Vorsitzende Powell am 1. Juni dieses Jahres bereits mit dem Abbau der Wertpapierbestände begonnen. Zwischen Juni und August sollen die Bestände um bis zu 47,5 Milliarden US-Dollar pro Monat abschmelzen. Ab September liegt die geplante monatliche Abschmelzungsrate sogar bei bis zu 95 Milliarden US-Dollar. Bis zum Jahresende könnten die Wertpapierbestände der Fed damit um etwa 500 Milliarden US-Dollar auf etwa acht Billionen US-Dollar absinken.
Diese Zahlen machen eins ganz deutlich: Auch wenn die Fed ihr Tempo im kommenden Jahr beibehalten oder sogar steigern sollte, wird sie wohl noch lange auf einem gigantischen Wertpapierberg sitzen. Nicht nur, weil ein marktschonender Abbau der Bilanz Zeit erfordert. Vielmehr auch, weil die Geldpolitik nicht zu alten Gewohnheiten zurückkehren wird. Die Fed hat bereits angekündigt, dass eine umfassende Reservehaltung an Wertpapieren Teil ihrer kommenden Ausrichtung sein wird. Wenngleich die Fed daher kurzfristig ihre Bestände reduzieren mag, bleibt die strategische Ausrichtung mit Blick auf billionenschwere Staatsanleihen in der Bilanz durchaus expansiv.
Ähnlich wie die Fed muss jetzt auch die EZB reagieren. Ansonsten drohen selbstverstärkende Zweitrundeneffekte, die Inflation dauerhaft auf einem höheren Niveau zu verankern und das Vertrauen in die Wertstabilität des Geldes nachhaltig zu erschüttern. Acht Prozent Inflation und eine Einlagenverzinsung von -0,5 Prozent – so etwas hat es in der Geschichte der Eurozone bislang nicht annähernd gegeben. Notwendige und endlich in Aussicht gestellte Leitzinsanhebungen dürften ihren Beitrag dazu leisten, das Auseinanderdriften von Inflation und Zinsniveau umzukehren. Allerdings werden es keine großen Schritte sein – wir können uns bei diesem Thema nur in Trippelschritten fortbewegen. Und auch in Europa wird die Geldpolitik weiterhin expansiv bleiben.
Ein schönes Wochenende
Ihr Stansch-Team