Die zukünftigen Erwartungen an den Kapitalmärkten werden häufig über Marktindikatoren abgeleitet. Wer wissen möchte, wie Profi-Anleger die Zukunft einschätzen, für den lohnt der Blick auf die einschlägigen Kennzahlen. Für den Geldmarkt der Eurozone, der kurzfristige liquide Anlagen abbildet, sind aktuell etwa die Drei-Monats-„EURIBOR-Futures“ interessant. Die Abkürzung EURIBOR steht für „Euro Interbank Offered Rate“, was übersetzt die durchschnittlichen Zinssätze sind, zu denen sich europäische Banken untereinander Anleihen in Euro gewähren. Futures sind wiederum Termingeschäfte, mit denen Geldmarktsätze in der Zukunft gehandelt werden.
Die Drei-Monats-„ EURIBOR-Futures“ zeigen also, wie der Markt die Renditen von kurzfristigen Ausleihgeschäften in der Zukunft einschätzt. Sie bilden die Zinserwartungen am Geldmarkt ab und damit den wichtigsten Indikator für die „Verzinsung“ von Konten und Tagesgeldern.
Die Kennzahlen zeigen, dass die Marktteilnehmer ganz offensichtlich damit rechnen, dass sich eine Zinserhöhung weiter in die Zukunft verschiebt. Zum anderen sind die Erwartungen, dass der Leitzins der EZB in den nächsten fünf Jahren wieder in den positiven Bereich steigen könnte, inzwischen vollständig in den Daten berücksichtigt. Sollte sich also der Leitzins etwas nach oben bewegen, wäre es für den Geldmarkt keine Überraschung mehr. Natürlich sind solche Einschätzungen nur temporär und mit Vorsicht zu genießen. Andererseits bilden sie die Erwartungen der Menschen ab, die an diesen Märkten handeln.
Eine Ursache für die allgemeine Zinsskepsis dürfte der Rat der EZB sein, der auf seiner jüngsten Sitzung Ende Juli dafür stimmte, dass die Zinsen auf oder vielleicht sogar unter den aktuellen Niveaus bleiben sollten, sofern die Inflation nicht bald und nachhaltig steigt. Bald bedeutet „deutlich vor dem Ende des Projektionshorizonts“, der wiederum bis 2023 läuft. Oder einfacher formuliert: Damit die Zinsen steigen, muss die Inflation in gut einem Jahr deutlich angestiegen sein – und der EZB-Rat muss diesen Anstieg zusätzlich als so nachhaltig beurteilen, dass die Inflation auch bei Zinsschritten bis einschließlich 2023 nicht unter zwei Prozent fällt. Erst dann wäre über Zinsschritte zu diskutieren.
Diese Flexibilität ist neu. Wenn die Notenbank ihre Ziele nicht erreichen kann, dann wird nicht kritisch überprüft, ob diese Ziele überhaupt realistisch sind. Es werden stattdessen die Mittel verschärft und der Rahmen ausgeweitet, in dem sich die Geldpolitik bewegen kann. Auch wenn das selbst gesteckte Inflationsziel nun also übersprungen werden sollte, muss sich in Zukunft kein Notenbanker mehr für dauerhafte Null- und Negativzinsen rechtfertigen.
Für Sparer, die nur auf klassische Zinskonten setzen, sind dies keine guten Nachrichten. Sie haben kaum noch eine Aussicht auf Erträge, wenn der Kaufkraftverlust durch die Inflation abgezogen wird. Der reale Werterhalt des Vermögens ist in der Regel nicht mehr gewährleistet. Spätestens jetzt sollten sich Sparer wohl nach Alternativen umsehen – zumindest, wenn sie die Kaufkraft ihrer Ersparnisse in diesem Jahrzehnt langfristig erhalten möchten.
Herzlichst, Ihr Stansch-Team